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Schwarzarbeit – Nichtigkeit der Tauschgeschäfte / Kompensationsgeschäfte

Wird ein gegenseitiger Austausch von Bauleistungen ohne vollständige Bezahlung, also ein Kompensationsgeschäft, vereinbart, kann darin eine Schwarzgeldabrede gesehen werden, die zur Nichtigkeit des Vertrages führt (Landgericht Karlsruhe Urt. v. 09.10.2024, Az.: 6 O 160/23).

1. Sachverhalt

Zwei Bauunternehmer haben sich wechselseitig mit verschiedenen Bauleistungen beauftragt, diese jedoch nur zu einem geringen Teil abgerechnet. Die wechselseitigen Leistungen sollten die Waage halten. Keine Partei sollte von der anderen Partei Zahlungen erhalten. Eine Ausnahme bildeten ungeplanter Mehraufwand bzw. Nachträge, die zu vergüten waren. Aufgrund der gegenseitigen Beauftragungen hatten die Parteien die Idee, dass sich die jeweiligen Werklohnforderungen – soweit sie sich wertmäßig decken – gegenseitig aufheben.

2. Entscheidung

Der zwischen den Parteien mündlich geschlossene Werkvertrag sei wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SchwarzArbG nichtig, § 134 BGB. Nach den Anhörungen der Parteien und aufgrund weiterer Indizien sei das Gericht von einer Schwarzgeldabrede in der Form einer „Kompensationsgeschäft – Abrede“ überzeugt.

Ein nichtiger Vertrag könne nicht dadurch wirksam werden, dass nachträglich Rechnungen gestellt werden.

3. Rechtliche Bewertung

Aus einem nichtigen Vertrag können keine Rechte abgeleitet werden. Das gilt sowohl für die anfängliche (beim Abschluss des Bauvertrags bzw. Werkvertrags geschlossene) als auch für die nachträgliche Schwarzgeldabrede. Die Ansprüche wegen der Baumängel sind in diesem Fall genauso wenig durchsetzbar wie die Zahlungs- oder Rückzahlungsansprüche im Zusammenhang mit dem Werklohn (BGH, BauR 2015, 1655).

Die Nichtigkeit des Bauvertrags zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer kann sogar noch größere Kreise ziehen. In der Literatur und Rechtsprechung wird für diesen Fall die teilweise oder gar vollständige Haftungsfreistellung des überwachenden Architekten für seine Überwachungsfehler diskutiert (LG Bonn, BauR 2018, 1161 ff., Jurgeleit BauR 2022, 404 ff.). Sie wird auf den Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB gestützt.

Baumängel, Minderung, Selbstvornahme, Ersatzvornahme

Selbstvornahme nach einer Minderungserklärung

Baumängel, Minderung, Selbstvornahme, Ersatzvornahme

Stellt der Auftraggeber Mängel fest, kann er vom Auftragnehmer (in der Regel nach dem Ablauf einer angemessenen Frist für die Mangelbeseitigung) unter anderem Minderung oder Kostenvorschuss für die Ersatzvornahme (also Mangelbeseitigung durch Dritte) verlangen. Nun hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Kosten für die Ersatzvornahme auch nach einer Minderungserklärung verlangt werden können, der Auftraggeber seinen Anspruch also problemlos von der Minderung auf die Selbstvornahme umstellen kann. Der BGH hat sich zudem zur Frage geäußert, in welchem Fall unverhältnismäßig hohe Kosten für die Mangelbeseitigung anzunehmen sind.

BGH Urt. v. 22.08.2024 – VII ZR 68/22

1. Sachverhalt

Der Auftraggeber verlangt Kostenvorschüsse für die Beseitigung von Schallschutzmängeln, für die er zunächst eine Minderung der Vergütung gegenüber dem Auftragnehmer erklärt hat. Die erste Instanz ging davon aus, dass die Schallschutzmängel keine Auswirkungen auf den Wert der Immobilie hätten, weshalb sie nicht zu einer Minderung führen können. Die zweite Instanz hatte ebenfalls keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Ansicht. Daraufhin begehrte der Auftragnehmer statt der Minderung die Zahlung eines Kostenvorschusses für die Beseitigung dieser Schallschutzmängel.

2. Entscheidung

Nach der Ansicht des BGH liegen die Voraussetzungen für einen Vorschussanspruch vor. Der Anspruch sei nicht nach § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 1, § 635 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, die Mangelbeseitigungskosten seien nicht unverhältnismäßig hoch. Unverhältnismäßigkeit werde in aller Regel anzunehmen sein, wenn einem objektiv geringen Interesse des Bestellers an einer mangelfreien Vertragsleistung unter Abwägung aller Umstände ein ganz erheblicher und deshalb vergleichsweise unangemessener Aufwand gegenüberstehe. Schallschutzmängel seien für die Qualität des Wohnens von wesentlicher Bedeutung.

Dass der Auftraggeber gegenüber dem Auftragnehmer zunächst Minderung der Vergütung erklärt habe, sei unschädlich, §§ 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 Abs. 1 Satz 1 BGB:

„Eine gesetzliche Regelung, wonach die Geltendmachung eines Kostenvorschussanspruchs ausgeschlossen ist, wenn der Besteller die Minderung des Werklohns erklärt hat, existiert nicht. Weder § 634 BGB noch §§637, 638 BGB regeln, in welchem Verhältnis das Recht des Bestellers auf Minderung der Vergütung (§ 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 BGB) und die ihm zustehende Befugnis zur Selbstvornahme sowie sein Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschusses (§ 634 Nr. 2, § 637 BGB) stehen. Nach dem Gesetzeswortlaut ist vielmehr davon auszugehen, dass diese Rechte nebeneinander bestehen können.“

Die Minderungserklärung schließe den Anspruch auf Nacherfüllung, großen Schadensersatz (statt der ganzen Leistung) und den Rücktritt aus. Die Kosten der Selbstvornahme und der kleine Schadensersatz (statt der Mangelbeseitigung) seien hingegen auch nach einer Minderungserklärung in vollem Umfang durchsetzbar.

Der Auftragnehmer sei nicht schutzwürdig, er habe in doppelter Weise vertragswidrig gehandelt, er habe weder ein mangelfreies Werk hergestellt noch sei er der Pflicht zur Nacherfüllung nachgekommen.

Rückforderung der Überzahlung durch den Auftraggeber / Bauherrn

Rückforderung von Überzahlungen

Rückforderung der Überzahlung durch den Auftraggeber / Bauherrn

Der Bundesgerichtshof (Urt. v. 11.07.2024 – VII ZR 127/23) hat sich mit der Frage der Überzahlung auseinandergesetzt und entschieden:

Der Auftraggeber / Bauherr kann vom Auftragnehmer und vom Bürgen die Rückzahlung der Überzahlung verlangen. Dafür muss er – soweit für ihn zumutbar – darlegen, welche Vorauszahlungen und Abschlagszahlungen er geleistet hat, und weshalb er der Ansicht ist, dass diesen Zahlungen kein entsprechender endgültiger Vergütungsanspruch des Auftragnehmers gegenübersteht. Der Auftragnehmer muss sodann darlegen und beweisen, dass er die erhaltenen Zahlungen behalten darf. Wenn dem Auftraggeber die Kalkulation des Auftragnehmers nicht bekannt ist, trägt der Auftragnehmer die Beweislast. Diese Darlegungs- und Beweislastverteilung gilt auch im Verhältnis zum Bürgen des Auftragnehmers.

1. Sachverhalt

Die Bürgin hat für einen Generalunternehmer eine Vorauszahlungsbürgschaft übernommen. Diese gesicherte Vorauszahlung wurden vom Auftraggeber an den Generalunternehmer / Auftragnehmer Zahlungen geleistet. Die Bürgin und die Auftraggeberin streiten darüber, ob aus der Bürgschaft eine Zahlung der Bürgin an die Auftraggeberin geschuldet ist.

In den ersten beiden Instanzen hat die Auftraggeberin verloren, ihre Berufung wurde als offensichtlich aussichtslos zurückgewiesen (§ 522 II ZPO), sie verfolgte die Sache aber erfolgreich vor dem Bundesgerichtshof weiter.

2. Entscheidung

Zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger gelte dieselbe Darlegungs- und Beweislastverteilung wie zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner. Das bedeute, dass die Auftraggeberin im Verhältnis zur Bürgin nicht mehr und nicht weniger beweisen müsse als im Verhältnis zum Generalunternehmer. Ausreichend sei eine Abrechnung, aus der sich ergebe, in welcher Höhe der Besteller Voraus- und Abschlagszahlungen geleistet habe und dass diesen Zahlungen ein entsprechender endgültiger Vergütungsanspruch des Unternehmers nicht gegenüberstehe. Das Berufungsgericht habe rechtsfehlerhaft der Auftraggeberin die Darlegungslast für Umstände auferlegt, zu der sie nach Ausschöpfung der ihr zur Verfügung stehenden Quellen und damit ihrem Kenntnisstand keine Angaben machen könne.

Durch Vorlage des Gutachtens ihres Sachverständigen habe die Auftraggeberin die erbrachten Leistungen von den nicht erbrachten Leistungen abgegrenzt. Da im (gekündigten) Vertrag mit dem Generalunternehmer Pauschalvergütungsvereinbarung ohne Detailpreisverzeichnis vorgesehen ist und die Kalkulationen des Generalunternehmers der Auftraggeberin nicht bekannt sind, kann von der Auftraggeberin kein weitergehender Vortrag verlangt werden.

3. Rechtliche Bewertung

Der BGH setzt mit dieser Entscheidung seine ständige Rechtsprechung fort, wonach zwar zunächst der Auftraggeber im Rahmen des ihm Zumutbaren vortragen muss, weshalb er die Rückzahlung der Überzahlung in der von ihm genannten Höhe verlangt. Die Darlegungsmöglichkeiten des Auftraggebers sind vor allem bei Pauschalpreisverträgen ohne Detailpreisverzeichnis eingeschränkt, weshalb im zweiten Schritt der Auftragnehmer darlegen und beweisen muss, weshalb er die geleistete Vergütung behalten darf. Er wird in der Regel eine schlüssige Rechnung vorlegen müssen. Im Fall einer Kündigung eines Pauschalvertrags muss er bei der Erstellung dieser Rechnung die Anforderungen des BGH an die Abrechnung gekündigter Pauschalverträge beachten.

 

Doppelte Fristsetzung bei Mängeln in der Erfüllungsphase?

Gewährleistungsansprüche und doppelte Fristsetzung

Doppelte Fristsetzung bei Mängeln in der Erfüllungsphase?

Eine vor der Abnahme gesetzte Mangelbeseitigungsfrist kann ausreichen, um nach der Abnahme wegen derselben Mängel die Gewährleistungsansprüche geltend zu machen.

1. Sachverhalt

Das OLG Hamm (27.09.2022 – 24 U 57/21) hat sich mit der Frage befasst, ob die Fristsetzung für die Mangelbeseitigung vor der Abnahme ausreicht oder für die Entstehung des Anspruchs auf Vorschuss zur Mängelbeseitigung (§ 637 BGB) nach der Abnahme eine erneute Mangelbeseitigungsrist gesetzt werden muss.

Nach der Fristsetzung zur Mangelbeseitigung erklärte der Auftraggeber im zugrundeliegenden Fall die Abnahme; danach hat er keine weitere Frist gesetzt.

2. Argumentation des Gerichts

Das Gericht hat entschieden, dass eine vor der Abnahme bei Fälligkeit des Erfüllungsanspruchs gesetzte Frist, die den Auftragnehmer zur Herstellung eines mangelfreien Werks auffordert, ausreichend ist. Für den Anspruch auf Vorschuss gemäß § 637 BGB muss nach der Abnahme nicht erneut eine Mangelbeseitigungsfrist gesetzt werden. Das Gericht argumentiert dabei mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Gewährleistungsrechten vor der Abnahme (BGHZ 213, 349 Rn. 47): Bereits ein Vorschussverlangen könne unter bestimmten Umständen zu einem Abrechnungsverhältnis führen. Die Fristsetzung im Zeitpunkt der Fälligkeit des Erfüllungsanspruchs reiche daher aus. Die Wiederholung der Fristsetzung nach der Abnahme sei nicht erforderlich.

Als weiteres Argument führt das Gericht die vom BGH angenommene Einheitlichkeit von Erfüllungsanspruch und Nacherfüllungsanspruch (vgl. OLG Hamm NJW 2019, 3240 Rn. 85 mwN) an. In der Konsequenz müsse dann auch eine Fristsetzung, die bei Fälligkeit des Erfüllungsanspruchs gesetzt werde, für den Nacherfüllungsanspruch ausreichen, soweit deren Inhalt identisch sei.

3. Rechtliche Beurteilung

Die Geltendmachung der Gewährleistungsansprüche, etwa der Ersatzvornahme, setzt in der Regel den fruchtlosen Ablauf einer Frist für die Mangelbeseitigung voraus, da der Auftragnehmer eine Chance erhalten muss, die Mängel nachzubessern, bevor der Auftraggeber weitergehende Rechte geltend machen kann. Ob eine vor der Abnahme gesetzte Frist hierfür ausreicht oder die Fristsetzung nach der Abnahme zu wiederholen ist, ist streitig.

Nicht nur in den Fällen der Abnahme, sondern auch (und erst recht) im Fall des Abrechnungsverhältnisses erscheint die erneute Fristsetzung für dieselben Mängel als reine Förmelei. Durch die Fristsetzung in der Erfüllungsphase erhält der Auftragnehmer eine ausreichende Möglichkeit, die Mängel zu beseitigen. Ein berechtigtes Interesse an einer weiteren Fristsetzung für dieselben Mängel nach der Abnahme hat er nicht. Etwas anderes kann allerdings gelten, wenn der Auftragnehmer etwa aufgrund der (vorbehaltlosen) Abnahme, also der Hinnahme und Billigung des Werks als im Wesentlichen vertragsgerecht (vgl. MüKoBGB/Busche BGB § 640 Rn. 2 m. w. N.), davon ausgehen kann, dass der Auftraggeber die Mangelbehauptungen nicht weiter aufrechterhält.

Aus der Sicht des Auftraggebers erscheint die doppelte Fristsetzung, also die erneute Fristsetzung nach der Abnahme, zur Vermeidung des oben beschriebenen Meinungsstreits sinnvoll, soweit sie noch möglich ist.

Abnahme

Ersatzvornahme vor der Abnahme?

Abnahme

Ist die Ersatzvornahme vor der Abnahme, also in der Erfüllungsphase, möglich oder erst nach der Abnahme, also in der Gewährleistungsphase?

1. Grundsatz

Ob die Abnahme eine Voraussetzung der Geltendmachung von Mängelrechten ist, war nach der Schuldrechtmodernisierung lange Zeit umstritten. Anders als im Kaufrecht fehlt es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, in welchem Zeitpunkt die Mangelhaftigkeit einer Sache zu bewerten ist und der Besteller diese bemängeln kann. Überwiegend wurde vertreten, dass es auf den Zeitpunkt des Gefahrübergangs ankommt (vgl. Grüneberg/Retzlaff, § 633 Rn. 4). Beschaffenheitsveränderungen vor dem Gefahrübergang fallen in die Sphäre es Unternehmers (vgl. § 644 Abs. 1 BGB), später entstehende, negative Veränderungen fallen in den Gefahrbereich des Bestellers ohne Gewährleistungsansprüche auszulösen (vgl. Grüneberg/Retzlaff, § 633 Rn. 3).

Der Bundesgerichtshof (BGH vom 19.01.2017 – VII ZR 301/13) sieht die Abnahme grundsätzlich als Voraussetzung für die Geltendmachung von Gewährleistungsrechten, § 634 BGB. Folgende Gründe sprechen dafür:

  • Eine Nacherfüllung besagt schon begrifflich, dass vorher eine Erfüllung stattgefunden haben muss (vgl. BGH Urt. v. 19.1.2017 – VII ZR 301/13, Rn. 33). Die Erfüllung, die Herstellung des Werks, tritt regelmäßig zu dem Zeitpunkt ein, in dem der Unternehmer das Werk zur Abnahme anbietet.
  • Die Abnahme stellt eine Zäsur dar. Ab diesem Zeitpunkt besteht der Vergütungsanspruch und die meisten Verjährungsfristen beginnen ab diesem Zeitpunkt zu laufen.
  • Bei einer Gewährung der Rechte vor Abnahme bestünde die Gefahr der Verkürzung des Rechts des Auftragnehmers, seine Vorgehensweise der Herstellung frei zu wählen. Hieraus würde sich die Gefahr eines nicht hinnehmbaren Eingriffs in das Rechte des Unternehmers ergeben (BGH aaO, Rn. 32).
  • Soweit nicht auf die Abnahme als Zeitpunkt abgestellt wird, ist die Regelung für die Frage der Beweislast und des Gefahrübergangs unklar. Insbesondere kann das Angebot eines mangelhaften Werks keinen durch den Annahmeverzug (§§ 293 ff BGB) ausgelösten Gefahrübergang gem. § 644 Abs. 1, S. 2 BGB begründen. Ein solches Angebot erfordert nämlich die Bereitstellung der Leistung „so, wie sie zu bewirken ist“, vgl. § 294 BGB. Das setzt eine mangelfreie Leistung voraus (vgl. Grüneberg/Grüneberg § 294 Rn. 4).
  • Es besteht ein ausreichender Schutz des Bestellers / Auftraggebers durch das allgemeine Leistungsstörungsrecht sowie § 641 Abs. 3 BGB. Insbesondere kann in diesem Zusammenhang nicht auf die Problematik der Verschuldensabhängigkeit von Schadensersatzansprüchen (§§ 634 Nr. 2 und 3, 280 Abs. 1, S. 2 BGB) verwiesen werden, da der Unternehmer bei einem mangelhaften Werk die Voraussetzungen des Verstreichenlassens der Frist des § 281 Abs. 1, S. 1 BGB zumeist zu vertreten haben wird (vgl. JA 2017, 708)

2. Ausnahmen

In seiner Entscheidung hat der BGH jedoch auch klargestellt, dass es Ausnahmen von dem genannten Grundsatz gibt. Von der überwiegenden Literatur und Rechtsprechung wurde das auch vorher schon so vertreten, etwa wenn das Vertragsverhältnis bereits in ein Abrechnungsverhältnis übergangen ist (vgl. Grüneberg/Retzlaff § 634 Rn. 6).

Für die Frage, wann ein Abrechnungsverhältnis vorliegt, greift der BGH auf seine Rechtsprechung aus der Zeit vor der Schuldrechtsmodernisierung zurück. Danach entsteht ein Abrechnungsverhältnis, ausgelöst durch beiderseitige Abrechnung, wenn der Besteller gegenüber dem Unternehmer nur noch Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes geltend macht oder die Minderung des Werklohns erklärt (vgl. BGH Urt. v. 11.5.2006 – VII ZR 146/04).

Das Abrechnungsverhältnis ist dann anzunehmen, wenn der Unternehmer das Werk zur Abnahme bereitstellt und der Besteller Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 281 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB verlangt, da der Anspruch auf die Leistung nach § 281 Abs. 4 BGB dann ausgeschlossen ist. Gleiches gilt, wenn der Besteller im Wege der Minderung nur noch eine Herabsetzung des Werklohns erreichen will (vgl. BGH, NJW 2017, 1607). Auch in diesem Fall geht es nicht mehr um den Anspruch auf die Leistung und damit um die Erfüllung des Vertrags (vgl. BGH Urt. v. 19.1.2017 – VII ZR 301/13, Rn. 41; Grüneberg/Retzlaff § 634 Rn. 6). Diese ist dem Besteller sogar verwehrt (Vgl. BGH, NJW 2017, 1607.).

Im Zusammenhang mit einer Ersatzvornahme ist Folgendes zu beachten: Allein das Verlangen eines Vorschusses für eine Ersatzvornahme bedingt noch nicht automatisch, dass ein Abrechnungsverhältnis entsteht. Im Falle der Ersatzvornahme erlischt der Anspruch auf (Nach)Erfüllung  nicht ohne Weiteres (vgl. BGH Urt. v. 19.1.2017 – VII ZR 301/13, BeckRS 2017, 101777 Rn. 45.; a.A. Grüneberg/Retzlaff § 637 Rn. 4). Es liegt dann keine Situation vor, bei der es nur um die gegenseitige Verrechnung von Geldansprüchen geht. Würde man auch in diesem Fall eine Abnahme entbehrlich stellen, ergäbe sich daraus ein nicht hinzunehmender Eingriff in das Recht des Unternehmers auf freie Wahl der Vorgehensweise zur Herstellung.

Im Einzelfall kann das Verlangen eines Vorschusses für eine Ersatzvornahme trotzdem als Übergang in ein Abrechnungsverhältnis gewertet werden: soweit der Besteller deutlich macht, dass er unter keinen Umständen mehr eine (Nach-) Erfüllung durch den Unternehmer möchte und jegliche Zusammenarbeit ablehnt, kann das Verlangen nach einem Vorschuss für die Ersatzvornahme ausnahmsweise zur Annahme eines Abrechnungsverhältnisses führen. Grund dafür ist, dass die noch bestehenden Ansprüche nur noch auf Geld gerichtet sind (vgl. BGH Urt. v. 19.1.2017 – VII ZR 301/13  Rn. 45; Grüneberg/Retzlaff § 634 Rn. 6).

In so einem Fall besteht das Recht zur Ersatzvornahme bereits vor der Abnahme. Es erscheint interessengerecht, dem Besteller bei berechtigter Verweigerung der Abnahme auch dieses Mängelrecht schon vor der Abnahme zuzugestehen.

3. Weitere Voraussetzungen

Damit der Besteller sein Ziel, die Realisierung seines Mängelrechts, umsetzen kann, müssen neben dem Vorliegen eines Abrechnungsverhältnisses auch die weiteren Voraussetzungen des Rechts vorliegen. Insbesondere das Setzen einer Nachfrist darf im Zusammenhang mit § 637 BGB nicht übersehen werden und auch die Fälligkeit muss vorliegen (vgl. Grüneberg/Retzlaff § 634 Rn. 5, 6. Zu den Voraussetzungen bei Minderung und kleinem Schadensersatz vgl. BGH NJW 2017, 1607 und MDR 2017, 390).

4. Fazit

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der BGH dem Besteller zwar dem Grunde nach erst ab der Abnahme die Möglichkeit von Mängelrechten gewährt, davon aber eine Ausnahme macht, wenn die Voraussetzungen des Mängelrechts vorliegen und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist (vgl. Schwab JuS 2017, 964, 966).

Schwarzbau

Schwarzbau trotz Baugenehmigung?

Schwarzbau

Weicht der Bauherr bei der Ausführung hinsichtlich der Identität des Bauvorhabens und seiner Wesensmerkmale so wesentlich von der Baugenehmigung ab, dass er nicht das genehmigte, sondern ein anderes Bauvorhaben, erstellt, erlischt die Baugenehmigung, ohne dass von ihr im Rechtssinn Gebrauch gemacht worden wäre (VGH München, Beschluss vom 13.05.2022 – 1 ZB 21.2603). 

1. Einleitung

Bei der Verwirklichung der Bauvorhaben kommen immer wieder kleinere und größere Abweichungen der baulichen Maßnahmen von der erteilten Baugenehmigung vor. Vor allem größere Abweichungen bergen erhebliche Risiken.

2. Sachverhalt

Im zugrunde liegenden Fall wichen die Kläger bei der tatsächlichen Bauausführung der Wohnbauvorhaben deutlich von der genehmigten Planung ab. Dies wurde nachträglich im Rahmen einer Baukontrolle des Landratsamts festgestellt. So wurde bspw. statt einem Carport, eine Doppelgarage errichtet, das Gelände aufgeschüttet und die Wandhöhe knapp 70 cm zu hoch erstellt. Daraufhin beantragte der Kläger eine ergänzende Tekturgenehmigung, um den Zustand zu legalisieren. Eine solche Genehmigung wurde vom Landratsamt verweigert. Hiergegen hat der Bauherr geklagt.

3. Gerichtsentscheidung

Im zitierten Urteil hat das Gericht ausgeführt, dass der Bauherr aufgrund erheblicher Abweichungen so zu behandeln sei, als hätte er gar keine Baugenehmigung erhalten, weil er etwas völlig anderes gebaut hat, ein aliud. Selbstverständlich stellt nicht jede Abweichung von der genehmigten Bauausführung gleich rechtlich ein aliud dar. Ein aliud ist anzunehmen, wenn durch die Abweichung Belange, die bei der Baugenehmigung zu berücksichtigen waren, so erheblich berührt werden, dass sich die Zulässigkeitsfrage des Bauvorhabens neu stellt (vgl. BayVGH, Urt. v. 26.10.2021- 15 B 19.2130). Die für die Identität des Bauvorhabens wesentlichen Merkmale seien Standort, Grundfläche, Bauvolumen, Zweckbestimmung, Höhe, Dachform und Erscheinungsbild. Vor allem wenn ein Bauvorhaben ohne Zerstörung seiner Substanz oder wesentlicher Teile mit der Baugenehmigung nicht in Übereinstimmung gebracht werden könne, sei es mit dem genehmigten Vorhaben nicht identisch. Die erteilte Baugenehmigung erlösche in diesem Fall. Dementsprechend könne keine Änderungsgenehmigung erteilt werden, da es an einer Genehmigung für dieses Vorhaben fehle. Eine neue Baugenehmigung sei nicht zu erteilen, da die hergestellten baulichen Anlagen nicht genehmigungsfähig seien.

4. Fazit

Die Rechtsfolgen einer Abweichung von der Baugenehmigung können gravierend sein. Die Bauaufsichtsbehörde kann im Anschluss an derartige Feststellungen, eine Baueinstellung bis hin zur einer Beseitigungsanordnung unter gleichzeitiger Androhung eines Zwangsgelds oder einer Ersatzvornahme aussprechen. Im geschilderten Fall hat der Bauherr die Baueinstellung ignoriert. Nun droht ihm voraussichtlich die Beseitigungsanordnung.

Dr. Alexander Seidenberg, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

Vertragsstrafe, Auslegung einer AGB-Klausel

Bei den allgemeinen Geschäftsbedingungen, also dem von einer Partei vorformulierten Vertrag (dem „Kleingedruckten“), gilt laut einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 05.05.2022 – VII ZR 176/20) im Zweifel die „verwenderfeindliche“ Auslegung. Wenn die vom Auftraggeber vorgegebene Klausel die Vertragsstrafe für die Überschreitung des vereinbarten Ausführungszeitraums vorsieht und zwar in Höhe von „5 % der Abrechnungssumme“, so ist darunter die Netto- und nicht die Bruttosumme zu verstehen, s. § 305c II BGB. Das ist die für den Auftraggeber und Verwender die ungünstigste Auslegung der Klausel, da auf diese Weise die Höhe der Vertragsstrafe am Nettobetrag gemessen wird und geringer ausfällt. Für die individuell ausgehandelte Klauseln gelten diese Grundsätze nicht.

Ansprüche des Nachbarn bei einer Abstandsflächenunterschreitung

BGH, Urteil vom 28.01.2022 – V ZR 99/21

Wird eine bauliche Anlage zu nah an der Grundstücksgrenze geplant, kann der Nachbar wegen der Unterschreitung der Abstandsflächen sowohl öffentlich-rechtliche Schritte gegen das Vorhaben einleiten als auch zivilrechtlich unmittelbar vom Bauherrn die Unterlassung und/oder Beseitigung verlangen. In der Rechtsprechung wird im letztgenannten Fall vom quasinegatorischen Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch des Nachbarn gegen den Bauherrn gesprochen.

1. Streitgegenstand

In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hat der Nachbar beantragt, dem Bauherrn zu untersagen, in einem Abstand von weniger als drei Metern zum Nachbargrundstück Rückkühlanlagen zu betreiben.

2. Entscheidung des BGH

Die Verletzung nachbarschützender Vorschriften des öffentlichen Baurechts kann nach ständiger Rechtsprechung (quasinegatorische) Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche des Nachbarn gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB begründen. Zu solchen drittschützenden bzw. nachbarschützenden Normen zählen unter anderem die Vorschriften über die Abstandsflächen, die dafür sorgen, dass die Bauvorhaben nicht zu nah an die Nachbargrundstücke hergestellt werden, s. Art. 6 BayBO. Dabei reicht es für die Geltendmachung des Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs aus, dass die vorgeschriebenen Abstände nicht eingehalten werden, eine darüberhinausgehende Beeinträchtigung des Nachbarn durch das Vorhaben ist also keine Voraussetzung.

Etwas anderes gelte laut BGH jedoch dann, wenn die vorgeschriebenen Abstandsflächen zwar unterschritten seien, dies jedoch von einer (fehlerhaften) Baugenehmigung abgedeckt sei, gegen die kein rechtzeitiges Rechtsmittel eingelegt worden sei und die somit bestandskräftig geworden sei. Voraussetzung sei jedoch, dass die Abstandsflächen zum Prüfprogramm der Baubehörde bei Erteilung der Genehmigung gehöre und damit von der Legalisierungswirkung der Genehmigung erfasst seien. In Bayern seien die Abstandsflächen vom Prüfprogramm auch im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren erfasst, Art. 59 Abs. 1 Nr. 1b BayBO. Die Legalisierungswirkung einer bestandskräftigen Genehmigung sei für die Zivilrichte bindend. Den Anspruch des Nachbarn auf die Einhaltung der Mindestabstandsflächen hat das Gericht daher abgelehnt.

Werden gegen die Baugenehmigung keine Rechtsmittel eingelegt, wird sie bestandskräftig und ist sowohl im Verhältnis zur Genehmigungsbehörde als auch im Verhältnis zum Nachbarn bindend.

3. Fazit

Auch wenn der Nachbar zivilrechtlich gegen den Bauherrn vorgehen möchte, darf er die öffentlich-rechtliche Schiene nicht aus den Augen lassen. Wird die Genehmigung durch Ablauf der Rechtsmittelfrist bestandskräftig, ist sie auch für die Zivilgerichte bindend.

Überbau

Bei Vermessungsfehlern, Ausführungsfehlern oder wenn sich die Beteiligten vor der Bauausführung gar keine Gedanken zum Grenzverlauf machen, kann ein Überbau entstehen. Die betroffenen Nachbarn zeigen sich in solchen Fällen selten erfreut. Das führt teilweise zu erheblichen Schwierigkeiten, da etwa beim rechtzeitigen Nachbarwiderspruch in einzelnen Fällen die ganz oder teilweise erstellten Gebäude(teile) abgerissen / verschoben werden müssen, was wiederum umfangreiche Streitigkeiten zwischen den am Bau Beteiligten verursachen kann. Wie werden die entstehenden Konflikte zwischen den Bauherren und den Nachbarn vom Gesetzgeber und den Gerichten gelöst?

I. Definition

Ein Überbau liegt vor, wenn ein einheitliches Gebäude bei seiner Errichtung auf zwei Grundstücken hergestellt wird, also in den Boden (z.B. Keller) oder Luftraum (z.B. Balkon) des Nachbargrundstücks ragt (Brückner in: MüKo, BGB, § 912 BGB Rn. 10). Die Überbau-Regelungen gelten (analog) auch für Gebäude, die sich etwa wegen der Altersschwäche über die Grenze neigen (Rösch in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, BGB, 9. Aufl. 2020, § 912, Rn. 7).

II. Voraussetzungen der Duldung

Beim Vorliegen entsprechender Voraussetzungen muss der betroffenen Nachbar den Überbau nach § 912 BGB dulden, kann hierfür jedoch eine Entschädigung verlangen, §§ 913 f. BGB.

912 BGB schränkt die Eigentumsrechte des Nachbarn ein, der ohne diese Norm bzw. außerhalb des Geltungsbereichs dieser Norm nach den §§ 946, 93, 94 I BGB auch das Eigentum am überbauten Gebäudeteil erwerben würde bzw. gemäß § 1004 I 1 BGB uneingeschränkt die Beseitigung des Überbaus verlangen könnte.

Die Duldungsvoraussetzungen sind:

1. Eigentümer

Der Überbau muss vom Eigentümer verursacht worden sein. Die Duldungspflicht des Nachbarn besteht auch dann, wenn der Eigentümer dem vom Nichteigentümer hergestellten Überbau zustimmt oder wenn der Nichteigentümer zum Eigentümer wird (BGHZ 15, 216).

2. Gebäude

Ausweislich des Wortlauts des § 912 BGB fallen nur Gebäude in den Anwendungsbereich, also nicht etwa Tore, Denkmäler (Rösch in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, BGB, 9. Aufl. 2020, § 912, Rn. 2) etc.

3. Weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit

Im Zeitpunkt der Grenzüberschreitung darf sich der / die Überbauende höchstens mittlere Fahrlässigkeit vorwerfen lassen, andernfalls trifft den Nachbarn keine Duldungspflicht. Umstritten ist, ob das Verschulden des Architekturbüros und des Bauunternehmens zuzurechnen ist.

4. Fehlender sofortiger Widerspruch

Die Duldungspflicht setzt zudem voraus, dass der Nachbar dem Überbau nicht sofort widersprochen hat.

III. Rechtsfolgen: Duldung, Entschädigung

Liegen die aufgezählten Voraussetzungen vor, muss der Nachbar den vorhandenen Überbau (jedoch nicht die spätere Erweiterung, BGHZ 64, 273) dulden, kann allerdings eine Entschädigung gemäß §§ 913 und 914 BGB verlangen, s. auch § 915 BGB.

IV. Länderspezifische Besonderheiten

In Bayern ist in § 46a AGBGB geregelt, dass ein durch Wärmedämmung einer Grenzmauer / Kommunmauer entstehende Überbau auch dann zu dulden ist, wenn insbesondere eine vergleichbare Wärmedämmung auf andere Weise mit vertretbarem Aufwand nicht möglich ist und die Benutzung des Nachbargrundstücks höchstens geringfügig beeinträchtigt wird. Ähnliche Regelungen existieren auch in anderen Bundesländern (BGH, Urteil vom 12. November 2021 – V ZR 115/20)

V. Fazit

Nicht selten führen die Nachbarn kein friedliches Nebeneinander. Die Herstellung bzw. die Entdeckung eines Überbaus ist oft die Keimzelle für manchmal jahrelange Nachbarstreitigkeiten, weshalb die Suche nach einer möglichst einvernehmlichen Lösung für alle betroffenen Nachbarn ein wichtiges Ziel darstellen dürfte. Soweit die Fronten für eine solche Lösung zu verhärtet sind, ist die Durchsetzung der Rechte anhand der oben dargelegten Kriterien zu prüfen.

Dr. Alexander Seidenberg, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

Elias Wagner, Rechtsanwalt