Höhere Gewalt

Hohere Gewalt im Baurecht

Angefangen hat es mit einer kurzen kaum beachteten Meldung über eine namenlose Atemwegserkrankung, mittlerweile beherrscht Corona die Medien. Der Bau ist nach letzten Auswertungen derzeit weniger stark betroffen – das ifo-Institut spricht von einem bisher eher moderaten Geschäftsausfall – als manche anderen Branchen, doch auch um die Bauvorhaben hat Covid-19 keinen Bogen gemacht. Das fängt mit den zeitweise weniger stark besetzten Bauämtern und daraus resultierend vermutlich mit einer gewissen Verlangsamung bei der Erteilung von Baugenehmigungen und geht mit den von den Bauunternehmen versandten Mitteilungen weiter, dass coronabedingt mit deutlichen Verzögerungen am Bau zu rechnen sei. Die Auftragnehmer verweisen dabei oft auf höhere Gewalt. Zu Recht?

1. Was ist höhere Gewalt

Verzögerungen können einen Grund für eine außerordentliche Kündigung liefern (s. § 5 Abs. 4 i.V.m § 8 Abs. 3 VOB/B) und zu Ersatzansprüchen des Auftraggebers führen (§§ 286; §§ 280, 281 BGB). Das gilt jedoch nicht, wenn die zur Verzögerung führenden Umstände vom Auftragnehmer nicht zu vertreten sind.  Ersatzansprüche des Auftraggebers können im Fall der höheren Gewalt („Force Majeur“) wegfallen. Umgekehrt wird für den Fall der höheren Gewalt sogar der Entschädigungsanspruch des Bauunternehmers diskutiert (und in derzeitiger Situation verneint), wenn infolge behördlicher Anordnungen der Bau behindert wird (Schwenker, jurisPR-PrivBauR 5/2020, 1, Weber, AnwZert BauR 8/2020, 1).

Höhere Gewalt liegt bei unvorhersehbaren und unbeherrschbaren, von außen kommenden Ereignissen vor, die keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisen und auch durch äußerste Sorgfalt nicht verhütet bzw. abgewendet werden können (BGHZ 100, 157; BGHZ 100, 185; BGH, Urt. v. 16.05.2017 – X ZR 142/15). Die Wortwahl des Bundesgerichthofs, „äußerste Sorgfalt“, spricht dafür, dass strenge Maßstäbe anzulegen sind. Der bloße Hinweis des Auftragnehmers auf die Corona-Krise reicht dementsprechend nicht aus.

2. Möglichkeit der Ersatzbeschaffung, vorausschauende Planung

Da die höhere Gewalt nur dann vorliegt, wenn die Auswirkungen durch äußerste Sorgfalt nicht abwendbar sind, ist selbst leichteste Fahrlässigkeit schädlich. Das Bauunternehmen muss alle Möglichkeiten ausschöpfen, um Engpässe wie Material- und/oder einen Arbeitskräftemangel auszugleichen. Der Auftragnehmer muss also – bis zur Grenze der Unzumutbarkeit – erhebliche wirtschaftliche Anstrengungen unternehmen, um den reibungslosen Fortgang sicherzustellen. Die Baumaterialien müssen notfalls bei anderen Lieferanten bezogen werden, ein Arbeitskräftemangel ist – wenn möglich – durch Beauftragung von Subunternehmen zu kompensieren usw. Engpässe, die bei vorausschauender Planung vermeidbar sind, stehen der Annahme der höheren Gewalt ebenfalls entgegen.

Es ist überlegenswert, ob insoweit die alten, vor der Krise zustande gekommenen, und die neuen Verträge unterschiedlich zu behandeln sind. Bei neueren Verträgen gelten wohl strengere Maßstäbe, was die Vorhersehbarkeit etwa eines neuen Ausbruchs angeht. Letztendlich wird es aber auch da auf den Einzelfall ankommen, z. B. falls sich die Situation wieder unerwartet stark verschlechtert.

Die abzuschließenden Verträge sollten eine Force-Majeure Klausel vorsehen, die die Folgen regelt, wenn die Pandemie die Durchführung des Vertrags beeinträchtigt.

3. Fazit

Das Baugewerbe hat eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung der volkswirtschaftlichen Entwicklung, was Wohlergehen beider Seiten, des Auftraggebers und des Auftragnehmers, voraussetzt. Vor diesem Hintergrund wird ausgewogene Rechtsprechung, die die Grenzen der höheren Gewalt im Auge behält und dabei angemessen rechtliche Belange der Auftraggeber- und Auftragnehmerseite berücksichtigt, besonders wichtig sein.

Dr. Alexander Seidenberg, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht