Archiv der Kategorie: Allgemein

Emojis als Willenserklärungen

Die Kommunikation zwischen Bauherren und Bau- sowie Handwerksbetrieben findet oft über WhatsApp und ähnliche Messengerdienste statt. Das wirft rechtliche Fragen auf. Z.B. ob Emojis („digitale Piktogramme“) geeignet sind, einen Rechtsbindungswillen zum Ausdruck zu bringen und welche Bedeutung welchem Emoji im Einzelfall zukommen kann. Die Emoji-Deutung des Gerichts war entscheidend für das Bestehen / Nichtbestehen eines sechsstelligen Schadensersatzanspruchs (OLG München, Endurteil v. 11.11.2024 – 19 U 200/24 e). Zwar geht es in dem Fall um nicht baurechtliche Sachverhalte, die Entscheidungsgrundsätze sind jedoch für das Baurecht relevant.

1. Sachverhalt

Die Parteien haben einen Kaufvertrag über einen Sportwagen geschlossen und darin vereinbart, dass die Änderungen des Vertrags schriftlich zu erfolgen haben. Der Käufer hat angezahlt. Die Parteien haben dann über WhatsApp kommuniziert. Der Verkäufer schrieb, die Lieferung werde im ersten Halbjahr 2022 erfolgen. Der Käufer reagierte mit einem „Ups“ und einem nervösen Smiley. Auf die Frage des Käufers, ob es eine Auftragsbestätigung des Herstellers gebe, antwortete der Verkäufer mit einem Daumen-hoch-Emoji. Im Januar 2022 schrieb der Käufer, dass das erste Halbjahr angefangen habe, begleitet von einem lachenden Smiley. Zunächst erklärte der Verkäufer, die Lieferung werde in der Woche vom 09.05.2022 erfolgen. Später teilte der Verkäufer mit,  dass aufgrund technischer Probleme die angekündigte Auslieferung nicht erfolgen könne. Der Käufer setzte eine Frist bis 24.05.2022, nach Fristablauf trat er vom Vertrag zurück und verlangte die Rückzahlung der Anzahlung. Widerklagend verlangt der Verkäufer Schadensersatz in Höhe von 100.000 Euro, da er den Wagen anderweitig deutlich billiger verkaufen musste.

2. Entscheidung

Das OLG urteilte zugunsten des Käufers. Zur Begründung führt das Gericht aus, dass sowohl die WhatsApp-Nachrichten als auch Anhänge (z.B. PDF-Dateien) und Fotos der im Kaufvertrag über einen Sportwagen vereinbarten Schriftform (§ 127 Abs. 2 S. 1 BGB) gerecht werden. Entscheidend sei, dass auch Textnachrichten die Voraussetzung der Dauerhaftigkeit und der Reproduzierbarkeit erfüllen. Dies sei hier gegeben, denn die Nachrichten werden auf dem lokalen Speicher des jeweiligen Empfänger- / Sendegeräts gespeichert, jedenfalls werde der Nachrichtenverlauf als Backup in der Cloud gesichert.  Zudem könne dem Empfänger die Nachricht nicht mehr entrissen werden (abgesehen von der Möglichkeit „Für alle löschen“, die indes nur kurzzeitig nach Versenden der Nachricht zur Verfügung steht). Eine Reproduzierbarkeit ist gegeben, aufgrund der Möglichkeit von Screenshots, Chat-Export und entsprechenden Ausdrucken, sowie durch digitales Weiterleiten der jeweiligen Nachricht.

Die zu einer Änderung des Vertrags erforderlichen Willenserklärungen können auch per Emoji abgegeben werden. Zu klären sei, wie ein verständiger Empfänger der Nachricht die Willenserklärung verstehen durfte, §§ 133, 157 BGB. Unter Rückgriff auf „Emojipedia“ wertete das Gericht das nervöse Emoji nicht als Zustimmung für die verlängerten Lieferzeit. Das zuletzt verwendete Emoji „grinsendes Gesicht mit lachenden Augen“ habe keine eindeutige Bedeutung, damit sei wohl Vorfreude oder Hoffnung zum Ausdruck gebracht worden, eine Willenserklärung sein insoweit nicht anzunehmen.

Mangels einer Zustimmung für die verlängerten Lieferzeit konnte der Käufer eine angemessene Frist setzen und wirksam zurücktreten. . Damit sei sein Anspruch auf Rückgewähr der Anzahlung begründet. Der Schadensersatzanspruch des Verkäufers liege hingegen nicht vor.

3. Auswirkungen für die Praxis

Festzuhalten ist, dass – vorbehaltlich einer Änderung der Rechtsprechung – die Verträge auch per WhatsApp und auch durch Verwendung von Emojis geschlossen und angepasst werden können.

„Wohnungsbau-Turbo”

„Ich will, dass wir mehr bauen, und ich will, dass wir preiswerter bauen“ – so Verena Hubertz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, in der Bau- und Wohnen-Debatte des Deutschen Bundestages am 15.05.2025. Dieser Wunsch überrascht kaum: Laut der aktuellen Prognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) werden in Deutschland bis zum Jahr 2030 jährlich rund 320.000 neue Wohnungen benötigt. Tatsächlich wurden im Jahr 2024 jedoch lediglich knapp 250.000 neue Wohnungen fertiggestellt. Die politische Antwort auf diese Schieflage ist der sogenannte Wohnungsbau-Turbo: Mit der Einführung des neuen § 246e BauGB und weiteren Gesetzesänderungen sollen bürokratische Hürden abgebaut, Genehmigungsprozesse beschleunigt und Baukosten gesenkt werden. Bereits im Herbst 2025 soll die Gesetzesnovelle in Kraft treten. Im Folgenden werden die wichtigsten Neuerungen vorgestellt.

1. Regelungen im künftigen § 246e BauGB

Der neue § 246e BauGB erlaubt nach aktuellem Entwurf (BT-Drucks. 21/781(neu)) unter bestimmten Voraussetzungen Abweichungen von bestehenden bauplanungsrechtlichen Vorschriften – also insbesondere vom BauGB und geltenden Bebauungsplänen. Voraussetzung ist, dass das Vorhaben der Schaffung von Wohnraum dient, etwa durch:

  • Errichtung von Gebäuden zu Wohnzwecken,
  • Erweiterung, Änderung oder Erneuerung zulässigerweise errichteter Gebäude, sofern dadurch neuer Wohnraum entsteht oder bestehender Wohnraum wieder nutzbar wird,
  • Nutzungsänderung zulässigerweise errichteter baulicher Anlagen zu Wohnzwecken – einschließlich damit verbundener Änderungen oder Erneuerungen.

Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des künftigen § 246e BauGB sind:

  • • Die Gemeinde erteilt ihre Zustimmung (vgl. § 36a BauGB),
  • Öffentliche Interessen sowie nachbarschaftliche Belange werden gewahrt,
  • Keine erheblichen zusätzlichen Umweltauswirkungen sind zu erwarten,
  • Die Abweichungen vom Bauplanungsrecht (z. B. Bebauungsplänen) erfolgen nur im erforderlichen Umfang.

Die Regelung soll zunächst bis zum 31. Dezember 2030 befristet sein.

2. Öffnung des Außenbereichs, § 246e Abs. 3 BauGB

Der bisher stark geschützte Außenbereich (§ 35 BauGB) soll behutsam für Wohnungsbauvorhaben geöffnet werden. Der Entwurf sieht die Bebaubarkeit vor, wenn das Vorhaben maximal 100 Meter von bestehender Bebauung entfernt liegt. Dabei muss es sich bei der angrenzenden Bebauung um solche im Geltungsbereich eines Bebauungsplans (§ 30 BauGB) oder im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) handeln. Zudem sind naturschutzrechtliche Vorschriften uneingeschränkt zu beachten.

3. Weitere geplante Änderungen im BauGB

Erwähnenswert sind noch folgende vorgesehene Änderungen:

  • § 31 Abs. 3 BauGB soll künftig flexiblere Ausnahmen / Befreiungen vom Bebauungsplan ermöglichen.
  • Auch im unbeplanten Innenbereich kann die Abweichung von der umgebenden Bebauung leichter ermöglicht werden, etwa  in Bezug auf die Bebauung von Freiflächen in Innenhöfen, zweite Baureihen hinter bestehenden Gebäuden sowie die Verdichtung bestehender Wohnquartiere über das bisher zulässige Maß hinaus.
  • Die Gemeinde soll in § 36a BauGB erweiterte Zustimmungsrechte in Bezug auf die Abweichungen und Befreiungen erhalten. Sie kann ihre Zustimmung von der Einhaltung bestimmter städtebaulicher Anforderungen abhängig machen.

Änderungen in der Bayerischen Bauordnung zum 01.10.2025

Nachdem die Bayerischen Bauordnung (BayBO) bereits zum Jahresbeginn 2025 an zahlreichen Stellen geändert wurde (unser Blogbeitrag hierzu), treten im Rahmen des Modernisierungsgesetzes der Bayerischen Bauordnung zum 01.10.2025 weitere wichtige Neuregelungen in Kraft.

Die Bauanträge können sich unter Umständen bereits bei Einreichung vor dem 01.10.2025 auf die neuen Regelungen beziehen. Maßgeblich ist nämlich nicht die Rechtslage zum Zeitpunkt der Antragstellung, sondern jene im Zeitpunkt der Entscheidung der zuständigen Bauaufsichtsbehörde.

1. Stellplatzpflicht

Die bisherige allgemeine Stellplatzpflicht (Art. 47 Abs. 1 Satz 1 BayBO bisherige Fassung) entfällt, die Stellplatzpflicht gilt nur, wenn die Gemeinde sie durch eine Satzung vorsieht (Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO n.F.). Die Entscheidung über eine Stellplatzpflicht wird künftig also den Kommunen übertragen. Die Gemeinden dürfen dabei die in der Anlage zur Garagen- und Stellplatzverordnung (GaStellV) festgelegten Obergrenzen nicht überschreiten. Für freifinanzierte Wohnungen ist die Stellplatzzahl auf maximal zwei pro Wohnung begrenzt; im geförderten Wohnungsbau liegt die Grenze bei 0,5 Stellplätzen pro Wohnung.

Bestehende kommunale Stellplatzsatzungen gelten nach Art. 83 Abs. 5 Satz 2 BayBO n.F. nur fort, sofern sie die neue Maximalanzahl der Stellplätze nicht überschreiten. Gemäß Art. 47 Abs. 2 BayBO n.F. sind in künftigen Stellplatzsatzungen ausschließlich Abweichungen nach unten zulässig. Viele Kommunen haben bislang Stellplatzsatzungen erlassen, um mehr Stellplätze zu fordern. Ist die neue Höchstgrenze ab dem 01.10.2025 überschritten, entfaltet die gesamte Satzung keine Wirkung mehr, eine Stellplatzpflicht besteht dann nicht.

Bei Nutzungsänderungen, dem Ausbau von Dachgeschossen oder Aufstockungen zu Wohnzwecken dürfen in Zukunft keine zusätzlichen Stellplätze mehr gefordert werden (vgl. Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 lit. b BayBO n.F.).

Soweit ein vor dem 01.10.2025 in Kraft getretener Bebauungsplan Stellplatzvorgaben enthält, bleiben diese weiterhin gültig, auch wenn sie die neuen Höchstgrenzen überschreiten. Art. 83 Abs. 5 BayBO n.F. betrifft ausschließlich kommunale Satzungen, nicht jedoch Bebauungspläne. Für Bebauungspläne, die nach dem 30.09.2025 erlassen werden, gelten jedoch die neuen Obergrenzen aus der Anlage zur GaStellV.

2. Freiflächengestaltung und Begrünung

Die Satzungsbefugnisse der Gemeinden im Hinblick auf Freiflächen- und Begrünungssatzungen werden deutlich eingeschränkt. Bislang konnten solche Satzungen auf Grundlage von Art. 81 Abs. 1 Nr. 5 BayBO erlassen werden. Ab dem 01.10.2025 treten sämtliche bestehende Satzungen in diesem Bereich außer Kraft, anders als bei den Stellplatzregelungen auch dann, wenn sie Bestandteil eines Bebauungsplans sind.

Ein Neuerlass ist gemäß Art. 81 Abs. 1 Nr. 5 BayBO n.F. nur noch hinsichtlich des Verbots von Bodenversiegelung sowie von nicht begrünten Steingärten oder vergleichbaren monotonen Flächennutzungen zulässig. Ziel ist wohl, den Gemeinden weiterhin die Möglichkeit zu geben, die Anlage von Schottergärten zu unterbinden. Doch auch ohne entsprechende Satzungen gilt nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 BayBO n.F., dass Bodenversiegelung möglichst zu vermeiden ist. Detaillierte Vorgaben zur Bepflanzung dürfen künftig nicht mehr gemacht werden.

3. Kinderspielplätze

Die allgemeine Verpflichtung zur Errichtung von Kinderspielplätzen im Wohnungsbau entfällt. Die bisherige Regelung in Art. 7 Abs. 3 BayBO wird gestrichen. Gemeinden müssen künftig eine eigene kommunale Satzung erlassen, wenn sie eine Spielplatzpflicht vorsehen wollen (vgl. Art. 81 Abs. 1 Nr. 3 BayBO n.F.).

Eine Pflicht zur Errichtung eines Spielplatzes besteht nur, wenn ein Gebäude mit mehr als fünf Wohnungen errichtet wird. Für Studentenwohnheime und Seniorenwohnungen ist zwingend eine Ablösemöglichkeit vorzusehen; der Ablösebetrag darf maximal 5.000 Euro betragen. Inhaltlich sind in solchen Satzungen keine Regelungen zur Beschaffenheit des Spielplatzes mehr zulässig – nur Vorgaben zur Ausstattung und Größe sind erlaubt. Bestehende kommunale Spielplatzsatzungen müssen an die neue Gesetzeslage angepasst werden, andernfalls verlieren sie mit Wirkung zum 01.10.2025 ihre Gültigkeit.

4. Fazit

Insgesamt sind die Änderungen der BayBO aus der Sicht von Bauherren zu begrüßen. Die Planungsprozesse werden voraussichtlich vereinfacht und die Baukosten gesenkt.

Vertragsstrafe trotz des Rücktritts vom Bauträgervertrag

Der Rücktritt des Auftraggebers wegen nicht termingerechter Fertigstellung des Bauwerks führt nicht zum Ausschluss seines Anspruchs auf Zahlung der vereinbarten und bereits verwirkten Vertragsstrafe (sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben), BGH, Urteil vom 22.05.2025 - VII ZR 129/24.

1. Sachverhalt: verzugsbedingter Rücktritt vom Bauträgervertrag

Die Parteien schlossen einen Bauträgervertrag, der den Erwerb eines sanierungsbedürftigen Fabrikgebäudes und den Umbau zu einem Wohnhaus beinhaltete. Vertraglich vereinbart war eine pro Werktag anfallende Vertragsstrafe, wenn der Unternehmer den Fertigstellungstermin nicht einhalten kann. Außerdem standen beiden Parteien ein vertragliches Rücktrittsrecht zu, sofern die Kaufpreisfälligkeit nicht bis zu einem bestimmten Datum eingetreten ist. Für die Kaufpreisfälligkeit war u.a. eine Abnahme oder abnahmefähige Bauleistungen erforderlich.

Da das Bauvorhaben nicht termingerecht abnahmefähig hergestellt wurde, trat der Besteller gemäß dem vertraglich vereinbarten Rücktrittsrecht vom Bauträgervertrag zurück. Im Zeitpunkt des Rücktritts war die Vertragsstrafe bereits verwirkt, weil sich der Unternehmer mit der Fertigstellung des Bauwerks in Leistungsverzug befand. Der Besteller forderte anschließend den Maximalbetrag mit der Begründung, der Rücktritt lasse den Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe unberührt.

2. Entscheidung: Anspruch auf Vertragsstrafe

Der BGH bestätigte in seiner Entscheidung die Auffassung der Vorinstanzen, dass der Anspruch auf Auszahlung einer bereits verwirkten Vertragsstrafe grundsätzlich nicht mit dem Rücktritt vom Vertrag erlischt. Bei einem Vertragsstrafeversprechen im Sinne der §§ 339, 341 Abs. 1 BGB könne der Gläubiger die Vertragsstrafe neben der geschuldeten Primärleistung fordern.

Verspreche der Schuldner dem Gläubiger für den Fall, dass er seine Verbindlichkeit nicht oder nicht in gehöriger Weise erfüllt, die Zahlung einer Geldsumme als Strafe, so sei die Vertragsstrafe verwirkt, wenn der Schuldner in Leistungsverzug komme, § 339 BGB.

Gemäß § 325 BGB sei es grundsätzlich möglich, neben dem Rücktritt auch einen Verzugsschaden geltend zu machen. Ein Anspruch auf Vertragsstrafe sei einem Anspruch auf Schadensersatz gleichzustellen, wenn sie den pauschalierten Ausgleich für einen Verzugsschaden bilde.

Die allgemeine Wirkung des Rücktritts führe nicht zu einem Erlöschen des Anspruchs auf Zahlung der bereits verwirkten Vertragsstrafe. Durch den Rücktritt werde das ursprüngliche Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt, wodurch die primären Leistungspflichten erlöschen. Der Rücktritt führe allerdings nicht ohne Weiteres dazu, dass auch sämtliche daneben existierende Ansprüche, hier also der Zahlungsanspruch, entfallen. Sinn und Zweck der Vertragsstrafe sei es, Druck auf den Unternehmer auszuüben (Druckfunktion) und dem Besteller einen Zahlungsanspruch zuzubilligen, ohne die Entstehung und die Höhe des entstandenen Schadens konkret darlegen zu müssen (Ausgleichsfunktion).

3. Rechtliche Bewertung

Im Gegensatz zur Kündigung wirkt der Rücktritt nicht nur für die Zukunft: die in der Vergangenheit ausgetauschten Leistungen sind im Fall eines Rücktritts zurückzugewähren. Trotzdem lässt die Rücktrittserklärung nach der Ansicht des BGH die angefallene Vertragsstrafe unberührt, da nur die primären Leistungspflichten erlöschen, der daneben existierende im Zusammenhang mit dem Verzug stehende Anspruch des Auftraggebers auf die Zahlung bleibt dagegen bestehen.

Anerkannte Regeln der Technik

Die anerkannten Regeln der Technik

Anerkannte Regeln der Technik - Baurecht München

Das OLG Koblenz und der BGH (OLG Koblenz, Urteil vom 07.07.2022 – 1 U 1473/20; BGH, Beschluss vom 24.05.2023 – VII ZR 139/22) befassen sich mit den anerkannten Regeln der Technik.

1. Sachverhalt

Die Parteien stritten über Mängelbeseitigungs- sowie Zahlungsansprüche aus einem geschlossenen Bauträgervertrag. Der Käufer erwarb mit notariellem Bauvertrag von einem Bauträger ein noch zu erstellendes „luxuriöses Penthouse” in einer „exklusiven Stadtvilla“. Zu der Wohnung gehörten zwei PKW-Abstellplätze in der Tiefgarage. Bestandteil des notariellen Vertrages waren die Baubeschreibung sowie die Baupläne, die als Anlage beigefügt waren.

Der Käufer machte Mangelansprüche gegen den Bauträger wegen der Ausgestaltung der Tiefgarage geltend und verlangte die Herstellung einer Durchfahrtsbreite von durchweg 2,75 m für die Tiefgaragenzufahrt und die Erreichbarkeit der Stellplätze mit einem Fahrzeug der oberen Mittelklasse mit nicht mehr als drei Fahrzeugbewegungen sowie die Korrektur der Neigung der Rampe von 24% auf höchstens 15%.

Der Bauträger berief sich darauf, dass die tatsächliche Ausführung der Tiefgarage den vertraglichen Vereinbarungen und den Plänen entspreche, auf die im Bauträgervertrag Bezug genommen worden sei. Eine Beseitigung der vorhandenen Verengung sei aus technischen Gründen unmöglich.

2. Entscheidung

Dem Auftraggeber steht nach der Ansicht des Gerichts aus dem Bauträgervertrag gegen den Bauträger der geltend gemachte Anspruch zu.

Nach § 633 Absatz 2 Satz 1 BGB sei ein Werk mangelhaft, wenn es nicht die vereinbarte Beschaffenheit habe. Sofern nicht ein anderer Standard oder eine andere Ausführung vereinbart sei, verpflichte sich der Unternehmer in der Regel stillschweigend zur technisch einwandfreien Herstellung des Werks. Die Verpflichtung zur Einhaltung der gesetzlichen und behördlichen Bestimmungen flankiere die anerkannten Regeln der Technik.

Eine Durchfahrtsbreite der Rampe von nur 2,50 m verstoße gegen § 3 Garagen-Verordnung und die dort geforderte Mindestbreite von 2,75 m. Die Missachtung der Vorgaben der Garagen-Verordnung begründe einen Sachmangel. Die Unterbreitung von Bauplänen an einen bautechnischen Laien lasse nicht den Schluss zu, dass dieser mit einer Abweichung von den anerkannten Regeln der Technik einverstanden sei. Hierfür bedürfe es einer ausdrücklichen vorherigen Aufklärung auch bezüglich der zu erwartenden Folgen für die tatsächliche Benutzbarkeit.

Da § 633 Abs. 2 S.2 Nr.2 BGB die übliche und vom Besteller erwartbare Beschaffenheit als selbständigen, neben der Eignung zur gewöhnlichen Verwendung zu beachtenden Maßstab aufstellt, begründe die Missachtung der anerkannten Regeln der Technik unabhängig von einer feststellbaren Funktionsbeeinträchtigung einen Mangel.

An eine Beschaffenheitsvereinbarung, die „nach unten“ von der üblichen Beschaffenheit abweiche, seien strenge Anforderungen zu stellen. Insoweit reiche es für eine wirksame Vereinbarung nicht aus, wenn der Unternehmer in die Leistungsbeschreibung Elemente hineingebracht hat, die mit den anerkannten Regeln der Technik unvereinbar sind. Der Unternehmer müsse den Besteller vielmehr klar und unmissverständlich darüber aufklären, dass die angebotene Leistung von den anerkannten Regeln der Technik abweicht.

Es könne nicht unterstellt werden, dass die Herstellung einer durchgängigen Zufahrtsbreite wegen Unmöglichkeit gem. §§ 275 Abs. 1, 633 Abs. 1, 635 Abs. 3 BGB entfalle, weil von der Notwendigkeit einer nicht unwesentlichen Veränderung der Grundsubstanz oder der Konzeption des Werkes ausgegangen werden müsste, da ohne das – mangels Einzahlung des Auslagenvorschusses nicht eingeholte – Sachverständigengutachten nicht festgestellt werden könne, welche technischen Möglichkeiten zur Verbreiterung der Durchfahrtsbreite zur Verfügung stehen. Auch von einer Unzumutbarkeit der Mängelbeseitigung wegen unverhältnismäßig hoher Kos-ten gem. §§ 275 Abs. 2, 633 Abs. 1, 635 Abs. 3 BGB könne hier nicht ausgegangen werden.

Die Erteilung der Baugenehmigung bezüglich des Gefälles stehe der Annahme einer Mangelhaftigkeit gem. § 633 Abs. 2 S. 2 BGB nicht entgegen, da deren Regelungsgegenstand öffentlich-rechtliches Bauordnungsrecht und nicht der vertragliche Qualitätsanspruch sei.

Die Benutzbarkeit der Tiefgaragenstellplätze sei mit Fahrzeugen sogar der Oberklasse ge-schuldet. Ausschlaggebend hierfür seien nicht nur die Bewerbung der Immobilie als „Luxuriöses Penthouse in exklusiver Stadtvilla“ sowie deren Kaufpreis, sondern auch die Versprechungen des Bauträgers gegenüber dem Kläger persönlich während der Errichtungsphase der Immobilie.

Der Tiefgaragenstellplatz entspreche daher nicht der zwischen den Parteien vereinbarten, zumindest nach dem Vertrag vorausgesetzten Beschaffenheit.

Ein Anspruch des Klägers auf Herstellung einer Rampenneigung der Zufahrt zur Tiefgarage von maximal 15 % bestehe jedoch nicht, da diese unmöglich gem. §§ 275 Abs. 1, 631 Abs. 1, 635 Abs. 3 BGB sei. In öffentlich-rechtlicher Hinsicht ergebe sich dies aus der fehlenden Möglichkeit, die Rampe mit einer Neigung von 15 % zwischen der Baulinie und der durch die öffentlichen Verkehrswege gebildeten Grenzen zu errichten.

3. Rechtliche Bewertung

Zur technisch einwandfreien Herstellung des Werks gehört die Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der Technik. Andernfalls liegt auch ohne Schaden oder ohne konkrete Beeinträchtigung der Funktion ein Mangel vor, selbst wenn die Abweichung von den anerkannten Regeln der Technik in den dem Vertrag zugrundeliegenden Plänen erkennbar ist.

Änderungen in der bayerischen Bauordnung (BayBO) 2025

Die BayBO wurde zum Jahresbeginn 2025 an vielen Stellen geändert. Ob und wie das die Bautätigkeit erleichtern und beschleunigen kann, und wie die Gerichte neue Regelungen verstehen, wird sich zeigen müssen. Auslegungshilfe bieten unter anderem die Vollzugshinweise des Bayerisches Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr vom 04.02.2025.

Nachfolgend finden Sie die Auflistung der neuen Regelungen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) und Erläuterungen hierzu:

  1. Discountermärkte / Supermärkte nicht mehr Sonderbauten

Für Sonderbauten gelten Sonderregelungen. Künftig sind die erdgeschossigen Verkaufsstätten von bis zu 2.000 m² keine Sonderbauten mehr, Art. 2 IV Nr. 4 BayBO. Von der Lage im Erdgeschoss ist auszugehen, wenn die Rettungswege höchstens über Eingangsstufen, aber nicht über Treppen führen.

  1. Gaststätten

Gaststätten mit bis zu 60 Gastplätzen sind ebenfalls keine Sonderbauten mehr, Art. 2 IV Nr. 8 BayBO.

  1. Abstandsflächen

Anlagen, von denen keine gebäudeähnliche Wirkung ausgeht, müssen die Abstandsflächen nicht einhalten. Hierzu zählen die Windenergieanlagen im Außenbereich, ebenerdige Terrassen, bei denen die Terrassenoberkante ungefähr (zumindest überwiegend) an der Geländeoberfläche endet. Eine nicht ebenerdige Terrasse, von der aber trotzdem keine gebäudeähnliche Wirkung ausgeht, muss ebenfalls keine Abstandsflächen einhalten. Als Grenze wird in den Vollzugshinweisen in Bezug auf die Terrasse eine Höhe von 75 cm genannt. Bis zu dieser Höhe kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an.

Wärmepumpen samt Einhausungen mit einer Höhe bis zu 2 m über der Geländeoberfläche haben ebenfalls keine gebäudegleiche Wirkung, Art. 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 BayBO.

  1. Aufstockung zur Schaffung von Wohnraum

Für die Aufstockung um nicht mehr als ein Geschoss zur Schaffung von Wohnraum wurden die Hürden abgebaut. So gelten in diesem Fall die Anforderungen an die bisherige Gebäudeklasse, der Brandschutz muss insoweit nicht angepasst werden, es gilt die Feuerwiderstandsfähigkeit der bisherigen Gebäudeklasse. Für notwendige Treppenräume können jedoch Anpassungen erforderlich sein. Der zweite Rettungsweg ist auch für die neuen Bereiche erforderlich, Art. 46 Abs. 6 BayBO.

  1. Verfahrensfreie Vorhaben

Die Liste der Vorhaben, die ohne eine Baugenehmigung realisiert werden können, wurde erweitert. Das kann das Bauen beschleunigen, hat aber zur Folge, dass der Bauherr eigenverantwortlich auf die Einhaltung der Vorgaben achten muss.

Verfahrensfrei sind nun Freiflächen-Photovoltaikanlagen an Schienen- und Straßenwegen, Art. 57 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a), bb) BayBO, wenn diese Anlagen privilegiert sind (§ 35 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b) BauGB und § 35 Abs. 5 Satz 2, Satz 3 BauGB), Werbeanlagen am Ort der Leistungserbringung, z.B. für die Handwerkerbetriebe an den Baustellen, Art. 57 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. a) und g) BayBO.

Auch Dachgeschossausbau zu Wohnzwecken einschließlich der Errichtung von Dachgauben ist nun verfahrensfrei, wenn die Dachkonstruktion und die äußere Gestalt des Gebäudes im Übrigen nicht verändert wird, Art. 57 Abs. 1 Nr. 18 BayBO. Soweit darüberhinausgehende Veränderungen der äußeren Gestalt des Gebäudes geplant sind, ist das Vorhaben genehmigungspflichtig. Ortsgestaltungssatzungen und sonstige örtliche Bauvorschriften können dem verfahrensfreien Dachgeschossausbau zu Wohnzwecken nicht entgegengehalten werden, Art. 81 Abs. 5 BayBO. Das Vorhaben muss bei Verfahrensfreiheit der Gemeinde zwei Wochen vor Baubeginn angezeigt werden, Art. 57 Abs. 7 BayBO.

Die Instandsetzungsarbeiten sind verfahrensfrei, Art. 57 Abs. 3 Nr. 3 BayBO. Bautechnische Nachweise etwa in Bezug auf die Standsicherheit sind trotz der Verfahrensfreiheit in der Regel erforderlich.

Nutzungsänderungen sind ebenfalls verfahrensfrei, wenn für die neue Nutzung keine anderen öffentlich-rechtlichen Anforderungen nach Art. 60 Satz 1 und Art. 62 bis 62b BayBO als für die bisherige Nutzung in Betracht kommen oder die neue Nutzung gebietstypisch und kein Sonderbau betroffen ist, Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 BayBO. In den Vollzugshinweisen wird die Ansicht vertreten, dass mit „öffentlich-rechtlichen Anforderungen“ nur bauplanungsrechtliche Anforderungen gemeint seien, nicht jedoch andere Anforderungen wie zum Beispiel Abstandsflächen- oder Brandschutzregelungen. Wenn Letztere betroffen seien, sei die Nutzungsänderung nicht verfahrensfrei. Die verfahrensfreie Nutzungsänderung muss zwei Wochen vor der Aufnahme der neuen Nutzung angezeigt werden, Art. 57 Abs. 7 BayBO.

  1. Bauantrag

Der Bauantrag ist schriftlich bei der Bauaufsichtsbehörde einzureichen, also nicht mehr bei der Gemeinde (das ist nur relevant, wenn die Gemeinde nicht die Funktionen der Bauaufsichtsbehörde übernimmt, das ist z. B. in der Stadt München der Fall), Art. 64 Abs. 1, S. 1 BayBO.

  1. Geltungsdauer

Die Baugenehmigungen und Vorbescheide haben einheitlich eine Geltungsdauer von vier Jahren, Art. 69, 71 BayBO

Schwarzarbeit – Nichtigkeit der Tauschgeschäfte / Kompensationsgeschäfte

Wird ein gegenseitiger Austausch von Bauleistungen ohne vollständige Bezahlung, also ein Kompensationsgeschäft, vereinbart, kann darin eine Schwarzgeldabrede gesehen werden, die zur Nichtigkeit des Vertrages führt (Landgericht Karlsruhe Urt. v. 09.10.2024, Az.: 6 O 160/23).

1. Sachverhalt

Zwei Bauunternehmer haben sich wechselseitig mit verschiedenen Bauleistungen beauftragt, diese jedoch nur zu einem geringen Teil abgerechnet. Die wechselseitigen Leistungen sollten die Waage halten. Keine Partei sollte von der anderen Partei Zahlungen erhalten. Eine Ausnahme bildeten ungeplanter Mehraufwand bzw. Nachträge, die zu vergüten waren. Aufgrund der gegenseitigen Beauftragungen hatten die Parteien die Idee, dass sich die jeweiligen Werklohnforderungen – soweit sie sich wertmäßig decken – gegenseitig aufheben.

2. Entscheidung

Der zwischen den Parteien mündlich geschlossene Werkvertrag sei wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SchwarzArbG nichtig, § 134 BGB. Nach den Anhörungen der Parteien und aufgrund weiterer Indizien sei das Gericht von einer Schwarzgeldabrede in der Form einer „Kompensationsgeschäft – Abrede“ überzeugt.

Ein nichtiger Vertrag könne nicht dadurch wirksam werden, dass nachträglich Rechnungen gestellt werden.

3. Rechtliche Bewertung

Aus einem nichtigen Vertrag können keine Rechte abgeleitet werden. Das gilt sowohl für die anfängliche (beim Abschluss des Bauvertrags bzw. Werkvertrags geschlossene) als auch für die nachträgliche Schwarzgeldabrede. Die Ansprüche wegen der Baumängel sind in diesem Fall genauso wenig durchsetzbar wie die Zahlungs- oder Rückzahlungsansprüche im Zusammenhang mit dem Werklohn (BGH, BauR 2015, 1655).

Die Nichtigkeit des Bauvertrags zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer kann sogar noch größere Kreise ziehen. In der Literatur und Rechtsprechung wird für diesen Fall die teilweise oder gar vollständige Haftungsfreistellung des überwachenden Architekten für seine Überwachungsfehler diskutiert (LG Bonn, BauR 2018, 1161 ff., Jurgeleit BauR 2022, 404 ff.). Sie wird auf den Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB gestützt.

Baumängel, Minderung, Selbstvornahme, Ersatzvornahme

Selbstvornahme nach einer Minderungserklärung

Baumängel, Minderung, Selbstvornahme, Ersatzvornahme

Stellt der Auftraggeber Mängel fest, kann er vom Auftragnehmer (in der Regel nach dem Ablauf einer angemessenen Frist für die Mangelbeseitigung) unter anderem Minderung oder Kostenvorschuss für die Ersatzvornahme (also Mangelbeseitigung durch Dritte) verlangen. Nun hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Kosten für die Ersatzvornahme auch nach einer Minderungserklärung verlangt werden können, der Auftraggeber seinen Anspruch also problemlos von der Minderung auf die Selbstvornahme umstellen kann. Der BGH hat sich zudem zur Frage geäußert, in welchem Fall unverhältnismäßig hohe Kosten für die Mangelbeseitigung anzunehmen sind.

BGH Urt. v. 22.08.2024 – VII ZR 68/22

1. Sachverhalt

Der Auftraggeber verlangt Kostenvorschüsse für die Beseitigung von Schallschutzmängeln, für die er zunächst eine Minderung der Vergütung gegenüber dem Auftragnehmer erklärt hat. Die erste Instanz ging davon aus, dass die Schallschutzmängel keine Auswirkungen auf den Wert der Immobilie hätten, weshalb sie nicht zu einer Minderung führen können. Die zweite Instanz hatte ebenfalls keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Ansicht. Daraufhin begehrte der Auftragnehmer statt der Minderung die Zahlung eines Kostenvorschusses für die Beseitigung dieser Schallschutzmängel.

2. Entscheidung

Nach der Ansicht des BGH liegen die Voraussetzungen für einen Vorschussanspruch vor. Der Anspruch sei nicht nach § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 1, § 635 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, die Mangelbeseitigungskosten seien nicht unverhältnismäßig hoch. Unverhältnismäßigkeit werde in aller Regel anzunehmen sein, wenn einem objektiv geringen Interesse des Bestellers an einer mangelfreien Vertragsleistung unter Abwägung aller Umstände ein ganz erheblicher und deshalb vergleichsweise unangemessener Aufwand gegenüberstehe. Schallschutzmängel seien für die Qualität des Wohnens von wesentlicher Bedeutung.

Dass der Auftraggeber gegenüber dem Auftragnehmer zunächst Minderung der Vergütung erklärt habe, sei unschädlich, §§ 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 Abs. 1 Satz 1 BGB:

„Eine gesetzliche Regelung, wonach die Geltendmachung eines Kostenvorschussanspruchs ausgeschlossen ist, wenn der Besteller die Minderung des Werklohns erklärt hat, existiert nicht. Weder § 634 BGB noch §§637, 638 BGB regeln, in welchem Verhältnis das Recht des Bestellers auf Minderung der Vergütung (§ 634 Nr. 3 Fall 2, § 638 BGB) und die ihm zustehende Befugnis zur Selbstvornahme sowie sein Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschusses (§ 634 Nr. 2, § 637 BGB) stehen. Nach dem Gesetzeswortlaut ist vielmehr davon auszugehen, dass diese Rechte nebeneinander bestehen können.“

Die Minderungserklärung schließe den Anspruch auf Nacherfüllung, großen Schadensersatz (statt der ganzen Leistung) und den Rücktritt aus. Die Kosten der Selbstvornahme und der kleine Schadensersatz (statt der Mangelbeseitigung) seien hingegen auch nach einer Minderungserklärung in vollem Umfang durchsetzbar.

Der Auftragnehmer sei nicht schutzwürdig, er habe in doppelter Weise vertragswidrig gehandelt, er habe weder ein mangelfreies Werk hergestellt noch sei er der Pflicht zur Nacherfüllung nachgekommen.

Rückforderung der Überzahlung durch den Auftraggeber / Bauherrn

Rückforderung von Überzahlungen

Rückforderung der Überzahlung durch den Auftraggeber / Bauherrn

Der Bundesgerichtshof (Urt. v. 11.07.2024 – VII ZR 127/23) hat sich mit der Frage der Überzahlung auseinandergesetzt und entschieden:

Der Auftraggeber / Bauherr kann vom Auftragnehmer und vom Bürgen die Rückzahlung der Überzahlung verlangen. Dafür muss er – soweit für ihn zumutbar – darlegen, welche Vorauszahlungen und Abschlagszahlungen er geleistet hat, und weshalb er der Ansicht ist, dass diesen Zahlungen kein entsprechender endgültiger Vergütungsanspruch des Auftragnehmers gegenübersteht. Der Auftragnehmer muss sodann darlegen und beweisen, dass er die erhaltenen Zahlungen behalten darf. Wenn dem Auftraggeber die Kalkulation des Auftragnehmers nicht bekannt ist, trägt der Auftragnehmer die Beweislast. Diese Darlegungs- und Beweislastverteilung gilt auch im Verhältnis zum Bürgen des Auftragnehmers.

1. Sachverhalt

Die Bürgin hat für einen Generalunternehmer eine Vorauszahlungsbürgschaft übernommen. Diese gesicherte Vorauszahlung wurden vom Auftraggeber an den Generalunternehmer / Auftragnehmer Zahlungen geleistet. Die Bürgin und die Auftraggeberin streiten darüber, ob aus der Bürgschaft eine Zahlung der Bürgin an die Auftraggeberin geschuldet ist.

In den ersten beiden Instanzen hat die Auftraggeberin verloren, ihre Berufung wurde als offensichtlich aussichtslos zurückgewiesen (§ 522 II ZPO), sie verfolgte die Sache aber erfolgreich vor dem Bundesgerichtshof weiter.

2. Entscheidung

Zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger gelte dieselbe Darlegungs- und Beweislastverteilung wie zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner. Das bedeute, dass die Auftraggeberin im Verhältnis zur Bürgin nicht mehr und nicht weniger beweisen müsse als im Verhältnis zum Generalunternehmer. Ausreichend sei eine Abrechnung, aus der sich ergebe, in welcher Höhe der Besteller Voraus- und Abschlagszahlungen geleistet habe und dass diesen Zahlungen ein entsprechender endgültiger Vergütungsanspruch des Unternehmers nicht gegenüberstehe. Das Berufungsgericht habe rechtsfehlerhaft der Auftraggeberin die Darlegungslast für Umstände auferlegt, zu der sie nach Ausschöpfung der ihr zur Verfügung stehenden Quellen und damit ihrem Kenntnisstand keine Angaben machen könne.

Durch Vorlage des Gutachtens ihres Sachverständigen habe die Auftraggeberin die erbrachten Leistungen von den nicht erbrachten Leistungen abgegrenzt. Da im (gekündigten) Vertrag mit dem Generalunternehmer Pauschalvergütungsvereinbarung ohne Detailpreisverzeichnis vorgesehen ist und die Kalkulationen des Generalunternehmers der Auftraggeberin nicht bekannt sind, kann von der Auftraggeberin kein weitergehender Vortrag verlangt werden.

3. Rechtliche Bewertung

Der BGH setzt mit dieser Entscheidung seine ständige Rechtsprechung fort, wonach zwar zunächst der Auftraggeber im Rahmen des ihm Zumutbaren vortragen muss, weshalb er die Rückzahlung der Überzahlung in der von ihm genannten Höhe verlangt. Die Darlegungsmöglichkeiten des Auftraggebers sind vor allem bei Pauschalpreisverträgen ohne Detailpreisverzeichnis eingeschränkt, weshalb im zweiten Schritt der Auftragnehmer darlegen und beweisen muss, weshalb er die geleistete Vergütung behalten darf. Er wird in der Regel eine schlüssige Rechnung vorlegen müssen. Im Fall einer Kündigung eines Pauschalvertrags muss er bei der Erstellung dieser Rechnung die Anforderungen des BGH an die Abrechnung gekündigter Pauschalverträge beachten.